Integratives Arbeiten im „Kinderhaus Murkelei“

Ausgehend vom Grundsatz der Gleichwertigkeit und Würde aller Menschen ist Integration eine ethische Verpflichtung und eine kulturelle wie auch soziale Notwendigkeit. 1994 wurde deshalb auch das Grundgesetz im Artikel 3, Absatz 3 ergänzt: “Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.”
Jeder Mensch ist ein einzigartiges Individuum und unterscheidet sich von anderen Menschen. Eine Behinderung stellt dabei eine von vielen Verschiedenheiten dar, die Menschen aufweisen können.
Integrative Erziehung verstehen wir als Bemühen „so-sein“ und „anders-sein“ miteinander in Beziehung zu bringen. Integration gelingt immer dann, wenn Menschen ohne Behinderung es als selbstverständlich ansehen, mit Behinderten gemeinsam zu leben und zu arbeiten. Dieses Denken sollte bereits im Kleinkindalter gefördert werden. Integrative Erziehung ist darüber hinaus wesentliche Basis der Entwicklung sozialer Fähigkeiten aller Kinder, insbesondere eine wichtige Maßnahme zur dringend notwendigen Gewaltprävention.
Da die Ausgrenzung von behinderten Menschen noch immer häufig anzutreffen ist, schaffen wir eine pädagogische Situation, in der es selbstverständlich und alltäglich ist, mit Kindern in all ihren Verschiedenheiten und möglichen Behinderungen zu leben und sie in ihrem “ Andersein” zu akzeptieren. Ziel und Aufgabe unseres integrativen Kinderhauses ist die Realisierung eines gemeinsamen Lern- Lebens- und Spielalltages und des Gruppenlebens selbst. Durch ihre gemeinsame Betreuung profitieren sowohl die behinderten als auch die nicht behinderten Kinder in ihrer Entwicklung. Sie erleben, wie unterschiedlich Kinder sein können. So erhalten die Kinder die Chance, frühzeitig gegenseitige Hilfsbereitschaft zu praktizieren, sowie Verständnis und Respekt für die Andersartigkeit und Besonderheit von Menschen zu lernen. Auch die Eltern auf diesem Weg mitzunehmen, Toleranz zu stärken, Ausgrenzung von vornherein abzubauen, betroffene Eltern stärken – all dies ist auch Teil unserer Arbeit.
Kinder und Eltern sollen die entlastende Erfahrung machen, dass Behinderung Teil von Normalität sind und nicht zu sozialem Ausschluss führen müssen. Es kann nicht Ziel sein, behinderte Kinder unter allen Umständen an das herrschende Wertesystem und dem sich daraus ergebenen Leistungsniveau anzupassen.
Ziel ist vielmehr, dass die behinderten Kinder in ihrer Selbstständigkeit soweit fortschreiten, dass sie Hilfe dort akzeptieren, wo sie nötig ist, sie aber dort ablehnen, wo sie entmündigend wirkt.
Ziel ist es auch, dass die nichtbehinderten Kinder von Anfang an soziales Verhalten als etwas Selbstverständliches erleben und auch das “ Anderssein” von Kindern akzeptieren lernen.
Das gemeinsame Leben und Lernen von allen Kindern bietet viele Chancen und Vorteile für alle.
Für die Kinder mit integrativer Betreuung:
- Sie lernen weiterhin, sich in der “normalen” Umgebung zurecht zu finden, eventuell auch, sich hier durchzusetzen,
- Sie führen kein ausgegrenztes Sonderdasein,
- Sie werden durch das Vorbild ihrer Gleichaltrigen bzw. in der Entwicklung gleichweiter Kinder ohne Behinderung zusätzlich gefördert und gefordert. Durch die Altersmischung in unseren Gruppen wird dieser Aspekt noch verstärkt,
Für die Kinder ohne Behinderung:
- in einer Zeit, in der vor allem Leistung und Erfolg zählen, lernen die Kinder, dass auch Menschen, die offensichtlich etwas anders sind, ihre ganz eigenen Werte haben und Menschen sind, die zu uns gehören,
- Die oft natürliche und gefühlsbetonte Lebenslust der besonderen Kinder ist ein positives Beispiel für alle Kinder ihre eigenen Gefühle freier anzunehmen,
- Durch vielfältige Kontakte von Familien ohne behinderte Angehörige entsteht eine Sensibilisierung des Umfeldes für Menschen mit Behinderung,
Für alle Kinder:
- Soziales Verhalten und soziale Kompetenz werden durch das gemeinsames Spielen und Lernen gefördert
- Gewaltbereitschaft wird gesenkt und Hilfsbereitschaft gefördert
- Kinder lernen, Konflikte besser zu bewältigen und der Zusammenhalt in der Gruppe wird gestärkt °Die individuelle Förderung einzelner Kinder, auch der ohne integrative Betreuung, wird möglich
Dem wohnortnahen Kindergarten als erster Erziehungs- und Bildungsinstitution kommt hierbei eine zentrale Schlüsselrolle zu. Kinder mit Behinderungen sollen die Möglichkeit haben, in ihren Lebenszusammenhängen und sozialen Bezügen (wohnortnah) gebildet und erzogen zu werden. Damit wollen wir die Gefahr von sozialer Isolation begrenzen, denn durch diese Isolation werden behinderten Kindern wesentliche Entwicklungschancen nicht gewährt. Mit der Neufassung des BTHG zum Januar 2020 ist auch in der integrativen Betreuung vieles verändert. Der ITP Ki/Ju – Individueller Teilhabeplan (für Kinder und Jugendliche) ist ein neues Instrument der Eingliederungshilfe, der es viel individueller jedem einzelnen Kind ermöglicht, gezielt dort mit Unterstützungsangeboten und Netzwerken anzudocken, wo es das Kind benötigt. Diese bestmöglich für die Kinder zu verhandeln, ist gemeinsames Ziel der jeweiligen Eltern und uns. Kontakte zu Inklusionsbeauftragten in den jeweiligen Ämtern bestehen über die Leitung. Erfahrungsaustausche und ggf. Fallbesprechungen finden regelmäßig statt.
Gesellschaftlich tradierte Ängste und Vorurteile abzubauen, aber auch abweisende und abwertende Einstellungen der Nichtbehinderten gegenüber der Behinderten, die sich immer wieder neu bilden, zu korrigieren – dies ist Ziel unseres inklusiven Arbeiten.
Wir schaffen in der Murkelei einen Ort, in dem es selbstverständlich und alltäglich ist, mit Kindern in all ihren Verschiedenheiten und Behinderungen zu leben und sie in ihrem “Andersein” zu akzeptieren. Dazu sprechen wir die kindlichen Kräfte und Fähigkeiten im emotionalen, kognitiven, motorischen, sozialem und lebenspraktischem Bereich an.
Im Kindergartenalltag bedeutet dies, dass innerhalb einer Gruppe behinderte und nichtbehinderte Kinder auf ihrem jeweiligen Entwicklungsstand miteinander spielen und lernen. Dazu werden die unterschiedlichen Bedürfnisse und Kompetenzen der Kinder bei der pädagogischen Planung und Durchführung angemessen berücksichtigt. Bei diesen allgemeinen Zielen ergeben sich keine Unterschiede für Kinder mit und ohne Behinderung.
Die Unterschiede entstehen nur hinsichtlich der jeweils erreichbaren Zielstufen und der methodischen Vorgehensweisen, denn behinderte und nichtbehinderte Kinder lernen nicht unterschiedlich - verschieden sind nur die jeweiligen Methoden und Hilfen.
Zielsetzung
Ziel unserer Integrationsarbeit ist es, dass alle Kinder gemeinsam aufwachsen können. Sie sollen z. B. nicht wegen einer Behinderung gezwungen sein, ihren alltäglichen Lebensraum verlassen zu müssen. Normalität bedeutet dann, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam spielen, lernen und leben. Die dabei gemachten Erfahrungen bringen eine Veränderung der Einschätzung von Behinderung und daraus resultierend des eigenen Selbstverständnisses und der eigenen Stärken und Schwächen mit sich. Dieses Ziel soll bis über das Kindergartenalter hinaus aufrechterhalten werden. Die Grundschulzeit als ebenfalls elementar prägender Abschnitt im Leben eines Menschen, sollte wohnortnah stattfinden – wenn notwendig mit der entsprechenden Unterstützung durch uns. Wir bieten Einzelbegleitung für betroffene Kinder an, begleiten Eltern im Kontext Schule.
Die Gruppe im Kindergarten schafft den Raum, in dem das einzelne Kind Entwicklungsschritte nach seinem eigenen Rhythmus machen kann und nicht zu früh in eine bestimmte Richtung festgelegt wird, sondern viele eigene Erfahrungen machen kann. Durch das Miteinander in der jeweiligen Gruppe wird die Aufmerksamkeit füreinander geweckt, das Einfühlungsvermögen vertieft, Akzeptanz und Toleranz aufgebaut.
Schwerpunkte unserer integrativen Arbeit
Pädagogische Prozesse:
Grundlage unseres pädagogischen Handelns ist genaues Beobachten und Wahrnehmen des einzelnen Kindes, sowie der Gruppe, um dort ansetzen zu können, wo die Fähigkeiten und Bedürfnisse liegen. Voraussetzung dafür ist die ständige Reflexion des Beobachteten, des eigenen Handels und der Reaktion der Kinder.
Die Qualität und Professionalität dieser Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass die Prozesse, die sich beim gemeinsamen Spielen und Lernen entwickelt haben von den Erziehern begleitet, analysiert und dokumentiert werden.
Kindbezogene Beratung heißt, dass alle Beteiligten analysieren, in welcher Lebenssituation sich das Kind befindet. Dazu gehören eine gemeinsame Einschätzung der Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Entwicklungsstand der Kinder, seine bisherigen Erfahrungen, seine Biographie und seine familiäre Situation. Intensive Elternarbeit ist ein wichtiger Baustein dieser komplexen Arbeit. Darauf aufbauend werden die momentanen Bedürfnisse des Kindes abgeleitet und entwickelt, wie damit im Kindergartenalltag entwicklungsfördernd umgegangen werden kann.
Kindbezogen bedeutet ferner, die Phase der Entwicklung des Kindes und die damit verbundenen Verhaltensweisen zu verstehen und in unserem pädagogischen Alltag zu unterstützen. Damit verbunden ist auch das Wissen um die Grenzen und die Handlungsmöglichkeiten eines Kindes, um es nicht ständig zu über- oder unterfordern, ständig neu zu frustrieren und dadurch in seiner Entwicklung zu blockieren.
Arbeit des pädagogischen Fachdienstes:
Heilpädagogische Arbeit ist prozessorientiert und leistet individuelle Begleitung des einzelnen Kindes. Das Tempo der Lernschritte gibt das Kind vor. Heilpädagogische Arbeit im Fachdienst wird von ausgewiesenem Fachpersonal durchgeführt. Austausch und Transparenz zwischen Fachdiensten und dem Gruppenteam sehen wir als Voraussetzung für gelungene heilpädagogische Arbeit. Dem Konzept für die einzelnen Fördermaßnahmen liegen Beobachtungen und Analysen zugrunde. Es wird gemeinsam mit dem Team und den betroffenen Eltern in Form eines Hilfeplans erarbeitet. Dieser und seine Umsetzung wird regelmäßig abgeglichen, Entwicklungsstände dokumentiert.
Bei Bedarf wird zusätzlich der medizinische Fachdienst in Anspruch genommen und in den Alltag der Kita mit eingebunden. Dabei handelt es sich um Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten und möglichen anderen Therapeuten, deren Leistungen über Krankenkassen abgerechnet werden kann. Aber auch die Einbindung externer Beratungsstellen kann zum Tragen kommen. In speziellen Fällen arbeiten wir mit der ambulanten Jugendhilfe zusammen, so dass Familien innerhalb ihres Alltages hier auch Unterstützung erhalten. Somit schaffen wir ein komplexes Netz an Unterstützung für betroffene Familien und stärken somit die besonderen Kinder.
Elternarbeit
Die Zusammenarbeit zwischen päd. Fachkräften und Eltern in der Integrationsarbeit benötigt in besonderer Weise Bedingungen für die Entwicklung einer vertrauensvollen, wertschätzenden Beziehung zueinander. Eltern werden als Experten ihres Kindes angesehen. Die Arbeit mit den Eltern beinhaltet verschiedene Formen regelmäßiger Kontakte, Beratungsgespräche, päd. Elternarbeit und gemeinsame Aktivitäten, ggf. Hausbesuche, um die Kinder in ihrem familiären Alltag zu erleben und wenn nötig Unterstützung bei Behördenkontakten.
Besondere Bedeutung kommt dem Aufnahmegespräch zu. In ihm geht es um die Abklärung der Erwartungen der Eltern an unsere Einrichtung, an mögliche Grenzen für die Pädagogen und die Einrichtung, aber auch um die gemeinsame Überlegung, was eventuell für die Aufnahme des Kindes organisiert werden muss. Häufig erleben wir Unsicherheiten der Eltern durch andere Erfahrungen, Ausgrenzungen ihrer Kinder etc. – hier gilt für uns, diese abzubauen, Stabilität schrittweise wieder herzustellen oder in einem neuen Rahmen zu gestalten.
Mitarbeitende
Integrative Erziehung erfordert die Einigung aller in der konkreten Situation zusammenarbeitenden Personen über die gemeinsamen Ziele und Inhalte des Handelns und über den Weg. Sie erfordert ständig selbst neu zu lernen, seine Haltungen und Einstellungen zu überprüfen, bei Bedarf neue Rollen zu übernehmen, sowie die eigenen Gefühle wahrzunehmen, zu akzeptieren und eventuell zu ändern.
Neben dem täglichen Austausch über die aktuelle Situation gibt es zweiwöchige Teamsitzungen mit Fallbesprechungen, um die Arbeit bestmöglich zu planen und zu gestalten.
Wir erachten ein Kind als integriert, wenn:
- seine Individualität respektiert wird
- wenn seine Teilhabe am Alltag (eventuell auch durch Assistenz) sichergestellt ist
- wenn gemeinsame Tätigkeit in einem gemeinsamen Bedeutungszusammenhang auf dem jeweils höchsten Niveau möglich ist
- wenn es in einem gemeinsamen Bedeutungszusammenhang für die anderen Kinder wichtig wird und sich dabei als kompetent erlebt
- wenn es auf Alltagsstrukturen trifft, die Mithandeln ermöglicht, aber auch Hilfen zur Alltagsbewältigung integriert zur Verfügung stehen